24ter Tag | Abfahrt | 09:04 | Distanz | 109,13km | Hm ↑ | 635m |
16te Etappe | Ankunft | 16:24 | Insgesamt | 1869,98km | Hm ↓ | 628m |
In dem ranzligen Hotel in Carentan hatte ich überraschenderweise recht gut geschlafen. Die Matratze war in Ordnung und die spanisch sprechenden Gäste, die um 20:00 mit viel Getöse ihre Zimmer bezogen hatten waren später auch nicht mehr zu hören (oder ich war so müde, dass ich das einfach nicht mitbekommen habe).
Von den Gastgebern von warmshowers.org aus der Umgebung von Coutances, die ich am Vortag kontaktiert hatte, hatte sich nur eine Odile gemeldet und die wäre erst ab 18:00 zu Hause gewesen. Ich sagte ihr also ab und änderte meine Pläne. Ich wollte jetzt doch keinen Bogen durch die Halbinsel Contentin fahren, sondern diese recht direkt auf einer ehemaligen Bahnlinie bis Portbail durchqueren und mich dann entlang der Küste nach Süden bewegen bis Granville. Ich kontaktierte aus der dortigen Ecke noch schnell vier Gastgeber, hatte aber wenig Hoffnung, dass so kurzfristig noch jemand mich einlädt. Für den wahrscheinlich Fall, dass sich kein Gastgeber meldet, wollte ich mir in Granville ein Hotelzimmer suchen.
Aus irgend einem Grund dauerten meine Morgenroutinen dann etwas länger, so dass ich erst um kurz nach 9 Uhr weg kam. Beim Check-Out wollte der Typ an der Rezeption dann plötzlich 39€ von mir haben, weil das so in seinem Belegungsbuch stand. Das wäre der Preis für das Zimmer 7 gewesen, dessen Schlüssel er am Vorabend nicht gefunden hatte. Mit einem Hinweis auf die neben der Rezeption hängende Preisliste ließ er sich schnell überzeugen und stellte mir nur 30€ in Rechnung.
Direkt ab Carentan ging eine ehemalige Bahnstrecke los, die man zum Radweg umgebaut hatte und die ziemlich genau nach Westen führte bis kurz vor Portbail an der Westküste der Halbinsel Cotentin.
Solche Strecken habe ich inzwischen schon einige gefahren und jedes Mal ist es ein bisschen anders. Diesmal war die Strecke nur gesandet. Das fuhr sich natürlich schon mal etwas schwerer als ein asphaltierter Radweg. Zusätzlich war der Sandbelag vom gestrigen Regen noch recht aufgeweicht, z.T. sogar schlammig. Dementsprechend sah das Rad nach den 35km aus. Auch gab es wieder die lästigen Umfahrhindernisse, diesmal z.T. kombiniert mit Viehrosten - also diesen Gittern im Boden, über die Rinder nicht drüber laufen können (wollen). Ein kurzes Stück war der Weg unterbrochen und man musste auf Straßen ausweichen. Die Beschilderung war dabei eher irreführend. Alles in Allem also eher suboptimal.
Die Strecke führte über weite Strecken durch den Regionalen Naturpark Marais du Contentin et du Bessin. Das ist ein großes Areal mit vielen Sumpf- und Feuchtgebiete. Das kann man sich dann z.T. so vorstellen.
Kurz vor Ende war dann noch etwa ein Kilometer asphaltiert. Kein Spaß war das
Am Ende fuhr ich noch die 3km bis zu dem Fischerdörfchen Portbail. Das ist recht putzig, aber auch sehr touristisch.
Von hier ging es dann mehr oder weniger der Küste entlang Richtung Süden. Zuerst 4km auf der D650 - quasi als Test. Ich empfand die Straße dann aber doch als zu stark (und zu schnell) befahren, weshalb ich dann wenn möglich auf kleine Nebenstraßen auswich. Manchmal ließ es sich aber doch nicht vermeiden, auf der D650 zu fahren - insbesondere im Bereich von Flussmündungen.
In Créances (es war kurz vor 12:30) kam ich an einem Supermarkt vorbei, der so aussah, als ob er auch am Sonntag geöffnet hätte. Mehrere Autos auf dem Parkplatz, Leute innen drin. Ich hatte die Idee mir dort was zum Mittagessen zu kaufen. Bis ich mein Rad angesperrt hatte und die Lenkertasche mit allen Wertgegenständen abgemacht hatte, war es nach 12:30. Da hatten sie schon zu. Immerhin checkte ich hier nochmal meine Emails und tatsächlich: ein gewisser Gilbert aus Granville hieß mich in seiner Wohnung willkommen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich sagte ihm zu und prognostizierte meine Ankunft auf 15:45 bis 16:15.
Kurz vor Heugueville-sur-Sienne fand ich einen schönen Rastplatz mit Ausblick auf die Mündung der Sienne.
Hier gab es auch eine Info-Tafel, die darüber aufklärte, dass der Oberlauf der Sienne ein bedeutender Laichplatz für Seelachse ist und jedes Jahr im Herbst etwa 1000 Lachse diesen Fluss aufwärts schwimmen. Drei Kilometer später stand neben der D650 diese Brückenruine - genannt Pont de la Roque
Wie ich einer Info-Tafel entnehmen konnte, war diese Brücke kurz nach der Landung der Alliierten in der Normandie von überaus wichtiger strategischer Bedeutung. Die Alliierten versuchten den deutschen Truppen auf der Halbinsel Cotentin die Rückzugswege abzuschneiden, um sie dann auf dieser Halbinsel aufzureiben. Die Brücke war irgendwann das letzte Schlupfloch für die Deutschen, weshalb die Amerikaner und Kanadier immer wieder versuchten diese Brücke aus der Luft zu zerstören. Das gelang erst nach mehreren Versuchen. Allerdings wurde das strategische Ziel nicht erreicht, weil unmittelbar nördlich davon eine weitere Brücke anschließt über das Flüsschen Soulles. Diese blieb intakt und hat den Deutschen gereicht, um doch noch von der Halbinsel Cotentin zu entkommen.
Langsam begann es nun doch noch zu regnen. Gerade so grenzwertig. Eine Viertelstunde fuhr ich mit Regenjacke. Weil der Regen wieder etwas nachließ und ich unter der Jacke so schwitzte zog ich sie wieder aus. Einen weiteren intensiven Schauer wartete ich in einem kleinen Unterstand (ein ehemaliger Waschplatz oder Viehtränke) ab. Währenddessen ermittelte ich die Position der Wohnung von Gilbert, was garnicht so leicht war, weil der Garmin mit der Adresse nichts anfangen konnte. OSMAND auf dem Handy fand sie zum Glück. Danach konnte ich sie manuell auf der Karte im Garmin als Zielpunkt setzen.
Etwas später als prognostiziert (etwa 16:30) kam ich bei Gilberts Wohnung an. Keine Klingel, ich war mir unsicher. Deshalb rief ich ihn an. Er bringe nur noch schnell jemanden zum Bahnhof. In 10 Minuten sei er bei mir. Aus diesen 10 Minuten wurden dann 30 Minuten und es begann wieder zu regnen. Ich war genervt.
Schließlich kam Gilbert dann doch. Alles ganz easy. Gepäckstücke und Fahrrad (so dreckig wie sie waren) einfach rein in die gute Stube. Die Wohnung sah aus wie eine Baustelle. Er renoviere gerade, meinte Gilbert dazu. Und er wohne derzeit auch gar nicht hier, sondern in der Nähe bei seiner Freundin. Ich hätte die Wohnung ganz für mich.
Während ich auf Gilbert gewartet hatte, hatte ich auch den Wetterbericht für Montag auf meteofrance.fr abgerufen. Dieser war vernichtend - den ganzen Tag Regen. Unter größtmöglicher Höflichkeit fragte ich Gilbert gleich zu Beginn, ob es auch möglich sei, dass ich zwei Nächte in seiner Wohnung verbringen könnte. Überhaupt kein Problem, meinte er. Ich war sehr erleichtert. Ich beschloss also am Montag einen Pausentag einzulegen. Nach 5 Tagen und 542km am Stück auch nicht der schlechteste Zeitpunkt. Und Granville als Aufenthaltsort mit den Sehenswürdigkeiten und Einkaufsmöglichkeiten war auch keine schlechte Wahl.
Was mich störte: Die Nacht vor mir (und wahrscheinlich schon länger) war ein Paar Couchsurfer in Gilberts Wohnung und Gilbert hatte nicht aufgeräumt und nichts vorbereitet. Ich durfte also schmutziges Geschirr abwaschen, den Esstisch wieder in einen benutzbaren Zustand versetzen. Bei der Gelegenheit hab ich auch die Badewanne und das Klo geputzt. Aber er hatte mir ganz kurzfristig seine Wohnung für zwei Nächte überlassen. Ich hielt den Mund. Wir haben vereinbart, dass er später nochmal kommt und mir zeigt, wo man gut und preiswert essen kann.
Nach Duschen und Wäschewaschen habe ich die Zeit damit überbrückt, schon mal mit dem Blog-Eintrag für den Tag zu beginnen. Um 20:00 schickte ich Gilbert eine SMS, ob ich an der Abmachung etwas missverstanden hätte. Er sei gleich da. Es dauerte dann noch bis 20:30, bis wir uns auf den Weg machten. Ich starb schon fast vor Hunger. Ich fand es einen sympathischen Zug, dass er mich zum Essen begleiten wollte.
Das Restaurant in das er mich führte war einfach. Die Ravioli von der Tageskarte gab es nicht mehr, weshalb ich das Fischgericht nahm. Danach war ich immer noch hungrig, so dass ich noch eine Pizza bestellte. Es war schon 22:00 bis ich mit dem Essen fertig war. In dieser Zeit und noch eine halbe Stunde danach belaberte mich Gilbert unentwegt mit seinen Ernährungstipps - oder besser gesagt mit seiner Ernährungsreligion. Ich hatte ihm schon ganz am Anfang gesagt, dass ich von diesem Thema nichts halte, weil man sich für jeden Standpunkt eine passende Studie aussuchen könnte und viele Leute eine Art Religion draus machen. Das hat ihn nicht aufgehalten. Er gehört auch offensichtlich zu der Art von Leuten, die keinerlei Sensibilität dafür haben, wann sie ihr Gegenüber nerven. Und es schien ihn auch nicht stutzig zu machen, dass er 95% oder mehr der ‘Konversation’ bestritt. Und wen er schon alles überzeugt hat und welche Spitzenathleten er zu noch mehr Leistung gebracht hat. Um 22:30 brach ich den Abend abrupt ab mit der Aussage, ich sei müde und wolle ins Bett - was auch stimmte. Was für ein Angeber, Wichtigtuer, Schaumschläger.